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Leseprobe

Preiß, Holger :

Ein psychoanalytischer Blick auf geistige Behinderung. Impulse für Theorie und Praxis der Geistigbehindertenpädagogik.

(Seite 1)
1. Die Geistigbehindertenpädagogik und das „Aschenputtel” Psychoanalyse

Wilfried Datler beklagte 1984 das „Aschenputteldasein von Tiefenpsychologie” (S. 47) in der Sonder- und Heilpädagogik, das sich „insbesondere im Bereich der Arbeit mit ‚geistig Behinderten’ feststellen” (ebd., 48) ließe. Das Aschenputtel darf nicht bei seiner (Stief) Familie „in der Stube sitzen” und muss sich selbst zu Hause sein Brot hart verdienen, indem es schmutzige Arbeit in der Küche verrichtet (vgl. Grimm/Grimm 1812, 88). In dieser Art lässt sich – bildlich gesprochen – auch die Rolle der Tiefenpsychologie bzw. Psychoanalyse1 in Beziehung zur allgemeinen Pädagogik beschreiben. Um im Bild zu bleiben: Die Psychoanalyse fristet eher ein Schattendasein und wird in erster Linie dann in Anspruch genommen, wenn ein Thema bearbeitet werden muss, mit dem sich jene allgemeine Pädagogik, die – wie die Stiefschwestern von Aschenputtel – so „schön und weiß von Angesicht” (ebd.) ist, nicht beschäftigen möchte. So kommt es dazu, dass die Psychoanalyse die verhältnismäßig größte Beachtung im Bereich der Pädagogik bei sog. Lernbehinderungen und Verhaltens-störungen genießt, auf den ihre Betrachtung sich selbst lange Zeit beschränkt hat (vgl. Fröhlich 1994, 83). Aus diesem Arbeitsgebiet heraus wurden jedoch Konzepte psychoanalytischer Heilpädagogik wie die der „Reutlinger Schule” und der aus dem Umkreis von Aloys Leber in Frankfurt entwickelt, die später die Grundlage für Versuche bildeten, psychoanalytische Erkenntnisse auch in eine allgemeinpädagogische Theoriebildung neuerer Zeit einzubeziehen. Diese geben Grund zu der Annahme, dass es auch für die allgemeine Pädagogik fruchtbar sein kann, psychoanalytisch fundierte Theorien aus dem Bereich der Heil- und Sonderpädagogik wahrzunehmen, um daraus grundlegende Erkenntnisse zu ziehen.
Ausgehend von einer solch allgemeinen, psychoanalytisch orientierten Pädagogik lässt sich der Bogen mit Paul Moor (1965, 273) wieder zurück spannen: „Erziehung behält ihren vollen Sinn mit seiner ganzen Tiefe auch unter noch so sehr einschränkenden Bedingungen”. Dies trifft auch auf die Bedingungen einer geistigen Behinderung zu. In dieser Arbeit soll nun untersucht werden, inwieweit eine psychoanalytisch orientierte Erziehung ihren „vollen Sinn” auch in der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung behalten kann.

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